Antifaschistischer Stadtrundgang

  1. Station: DGB-Haus am Holstentor
    Wir wollen keinen Rundgang machen, nur um die Erinnerung an die Widerstandskämpfer*innen wachzuhalten. Heute sehen wir eine deutliche Polarisierung zwischen einer fortschrittlichen Stimmung mit der Suche nach einem Ausweg aus den Krisen des Kapitalismus und reaktionären, antikommunistischen und faschistischen Kräften. Die Frage ist; was können wir aus dem Gestern für das Heute lernen?
    Wenig bekannt ist, dass Lübeck eine Stadt der Arbeiterbewegung war. Vor 1933 wurde es als das „rote Lübeck“ bezeichnet. Hitler konnte vor seiner Machtergreifung hier keine Reden halten. Es ist also nur passend den Rundgang hier am Gewerkschaftshaus zu beginnen.
  2. Station: Holstentorhalle
    Die Holstentorhalle wurde 1926 zur 700-Jahresfeier Lübecks gebaut; sie wurde zum Versammlungsort politischer, kultureller und sportlicher Veranstaltungen der Lübecker Arbeiterbewegung. Am 8.11.1929 sprach hier der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann auf einer Kundgebung zu den Bürgerschaftswahlen die im November stattfinden sollten. Es kamen über 3000 Teilnehmer zur Kundgebung des KPD-Kandidaten Schmidt. Ein Artikel der Roten Fahne vom 09. November lautet wie folgt:
    Lübecks größte Wahlkundgebung
    Genosse Thälmann spricht – morgen Bürgerschaftswahl.
    Am Sonntag den 10. November finden in Lübeck die Bürgerschaftswahlen statt. Gestern Abend wurde eine Kundgebung der Kommunistische Partei abgehalten, die stärker besucht war als je eine Versammlung in Lübeck. Unter stürmischem Beifall der mehr als 3000 Teilnehmer referierten Genosse Thälmann und der Spitzenkandidat der Kommunistischen Partei, Genosse Schmidt, über die vernichtende Wirkung des Young-Planes und über die arbeiterfeindliche Politik der Koalitionsregierung und des Koalitionssenats. Die Kundgebung, die in begeisternder Geschlossenheit verlief, war ein verheißungsvoller Auftakt für die übermorgen stattfindenden Wahlen.
     

    Im Zusammenhang mit der Reichstagswahl 1932 gab es eine Kundgebung der Eisernen Front, bei der die nach Hause gehenden von der SA überfallen wurden. Eine Woche nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gab es eine Kundgebung der Antifaschistischen Aktion mit 8000 Teilnehmern, bei der u.a. Erich Klann (KPD) und Willy Brandt (SAP) sprachen. Dort forderten sie eine „rote Einheitsfront“. Willy Brandt sprach in seinem Redebeitrag davon; dem Faschismus die geballte Kraft des Proletariats entgegenzusetzen. Zwei Tage nach der Kundgebung scheiterten die Verhandlungen von Gewerkschaften, SPD und KPD. Die SPD wollte keinem Massenstreik gegen den Faschismus zustimmen. Die KPD lehnte es ab, ihre Kritik an der SPD wie gefordert einzustellen.
  3. Station: Lokal „Drückhammer“ Marlesgrube 27
    Hier stand bis 1942 das Arbeitervereinslokal „Drückhammer“. Seit 1931 auch Parteibüro der KPD. Traditioneller Versammlungsort vor allem für KPD, RFB und Antifaschistische Aktion. Nach dem Reichstagsbrand begann die Reichweite Verfolgung der KPD. In Lübeck noch unter einem sozialdemokratischen Polizeisenator. Noch vor der Reichstagswahl wurden alle KPD-Funktionäre verhaftet, denen die Polizei habhaft werden konnte. Die Parteibüros wurden durchsucht und alles Material beschlagnahmt. Alle Wahlplakate in der Stadt wurden entfernt. Trotz laufender Verhaftung von Einzelmitgliedern oder Kleingruppen ließ der Widerstand in den ersten Monaten nach Machtübernahme Hitlers nicht nach. Die Presse berichtete oft über antifaschistische Aktionen unter reißerischen Überschriften „Der rote Mob rührt sich“. Rote Fahnen werden auf Gebäuden gehisst, antifaschistische Losungen an Wände gemalt, Straßennamen umbenannt und Flugblätter verteilt. Nach der Verhaftung des KPD-Leiters Harry Naujok wurde der erst 23-jährige Arbeiter August Klüss Parteileiter, da er weniger bekannt war. Er hielt sich versteckt und konnte so die organisatorische Arbeit fortsetzen. Von nun an wurde in 5er-Gruppen gearbeitet und illegale Druckereien aufgebaut. Nach einer Verhaftungswelle von über 100 Personen übernahm Ernst Puchmüller, der zuvor Vertreter der KPD in der Bürgerschaft war, den Aufbau einer neuen Widerstandsorganisation, die mit ca. 300 Personen die größte in ganz Lübeck wurde. Die Gruppe bestand aus 200 KPD und KJVD Mitgliedern sowie aus jungen Arbeiter, Hafenarbeitern und einigen Frauen. Ernst Puchmüller schreibt in seiner Biographie, dass bis Mitte 1935 ohne Störung gearbeitet werden konnte. Die Gestapo traute dem fast blinden Mann wohl nicht zu Leiter des Widerstandes und Herausgeber der KPD Zeitung zu sein. Unter seiner Leitung wurden die Kontakte in die Betriebe ausgebaut und illegale Schriften verteilt.
  4. Station: Wollmagazin/Zeughaus
    Hier befand sich während der Naziherrschaft das Hauptquartier der Gestapo und somit auch einer der Orte, an dem über 1000 in Lübeck festgenommene Antifaschisten verhört und teilweise gefoltert wurden. Von den Verhafteten wurden 79 zum Tode verurteilt. Der KPD-Vorsitzende August Klüss stürzte sich nach seiner Verhaftung von einem Treppengeländer, um weiterer Folter zu entgehen und seine Genoss*innen nicht zu verraten. Trotz solcher Gewaltakte meinten manche: „Hitler hat den 2. Weltkrieg angezettelt und die Juden vergast – aber sonst war er ganz gut für das deutsche Volk.“ und die Verhaftung und Hinrichtung von BR-Mitglied Seebach „wegen kommunistischer Hetzreden und Hochverrat“ vollzogen worden. Seebach hatte sich im Betrieb freimütig gegen Hitler geäußert. Doch warum hatten die Nazis diese Massenverhaftungen und Folterungen überhaupt nötig? Wäre tatsächlich die Mehrheit der Bevölkerung für Hitler gewesen, hätte er sich auf die Arbeiter stützen können und eine Niederschlagung von jeglichem Widerstand wäre nicht nötig gewesen. Bereits im November 1932 gingen die Stimmen bei der Wahl für die NSDAP zurück auf 37%, während die Arbeiterparteien gemeinsam 50% der Stimmen erhielten. Auch am 5. März 1933 konnte die NSDAP trotz massiver Wahlbehinderungen mit 43% keine absolute Mehrheit erzielen sondern hatte 46,5% der Wahlstimmen gegen sich stehen. Offensichtlich also hatten die Nazis vor ´33 keinen ausreichenden Rückhalt im Kleinbürgertum gegenüber der Arbeiterbewegung.
  5. Station: Haus der Jugend Domkirchhof/Fegefeuer
    Seit 1930 befand sich hier ein sogenanntes „Haus der Jugend“* mit angeschlossener Jugendherberge. Dieser Ort war Treffpunkt für mehrere Jugendorganisationen; es waren die SAJ (Sozialistische Arbeiter Jugend), den SJVD (Sozialistischer Jugend Verband Deutschland) und KJVD (Kommunistischer Jugend Verband Deutschland) sowie einige Gewerkschaftsjugendorganisationen. Am 11.5.1933 wurde das Hause von Polizei sowie SS und SA besetzt und diente u.a. als Kaserne für die Hilfspolizei. Die RAJ (Revolutionäre Arbeiterjugend) ist unter den Jugendorganisationen hervorzuheben, da sie in besonderer Weise Widerstand leistete. Sie wurde 1934 vom Kommunisten Edmund Fülscher gegründet. Die Revolutionäre Arbeiterjugend bestand aus ca. 50 Mitgliedern zwischen 16 und 25 Jahren. Unter ihnen hauptsächlich junge Arbeiter und Lehrlinge sowie einigen Schülern. Ihr Ziel war es, eine Einheitsfront von der Basis der Bevölkerung, den Arbeitern, aus zu bilden. Die RAJ verteilte illegale kommunistische Schriften in Berufsschulen und Betrieben – von der Maizeitung der KPD sogar 400 Exemplare. Im Frühjahr 1935 fertigten sie als direkte Gegenreaktionen auf die Plakate der Nazis, auf denen ein „Judenkopf in Stürmer – Manier“ zu sehen war und vom Schriftzug „Lübeck will euch nicht“ untermalt wurde, eigene Plakate mit dem Kopf Hitlers und der Bildunterschrift „Lübeck will dich nicht“ an und platzierten 12 davon am Hafen und in der Innenstadt. Zum Antikriegstag am 1. August 1935 erregten sie noch mehr Aufsehen. Ein 100m langes Hafenschuppendach (heute ca. Höhe des Radissonhotels) trug die Parole „Brüder in eins nun die Hände, bildet die antifaschistische Einheitsfront gegen Faschismus und Krieg“. Diese blieb noch lange gut von der Stadt aus sichtbar, da die fetten Lettern selbst nachdem die Nazis das Dach schwarz übergemalt hatten, noch durchschimmerten. Im selben Jahr wurden im Rahmen großer Verhaftungsaktionen 12 RAJ – Mitglieder festgenommen, unter ihnen Fülscher. Die Verhafteten und besonders Fülscher wurden von den Nazis mit absoluter Härte behandelt und verhört, verrieten jedoch ihre Kameraden, unter anderem den Leiter der KPD nicht. Fülscher nahm sogar die Schuld anderer auf sich, und wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die anderen verhafteten Mitglieder der RAJ erhielten zwar deutlich kürzere Haftstrafen, wurden jedoch im Anschluss ins KZ verschleppt. Vier überlebten dies nicht. Ein Teil der übrigen Mitglieder organisierte sich später im Jugendverband der Lübecker KPD unter der Leitung von Ernst Puchmüller.
  6. Station: Hinter der Burg/Burgstraße
    In den den Straßen dieses Viertels stimmten bei der Märzwahl 1933 noch 2/3 der Wähler für KPD und SPD, obwohl die KPD schon großen Repressionen ausgesetzt war.
    Der Lübecker SPD-Vorsitzende Julius Leber wurde hier am 01.02.1933 von der SA überfallen und verhaftet. Die SPD rief zu einem einstündigen Generalstreik auf, lehnte jedoch die Forderung der KPD nach einem konsequenten Generalstreik ab. Leber saß später im KZ Esterwegen und Sachsenhausen. Dort lernte er das Mitglied der illegalen Landesleitung der KPD Franz Jacob kennen. Beide schworen, dass Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam Hitler stürzen würden.
  7. Burgfeld/Gustav-Radbruch-Platz/Lübecker Hafen
    Im Februar 1933 fand eine letzte große Massendemonstration der Lübecker Arbeiterbewegung gegen die Faschisten auf dem Platz statt. Trotz eines Schneesturms kamen rund 15.000 Antifaschisten zusammen. Gustav Radbruch, Namensgeber des Platzes, war Rechtswissenschaftler und SPD Reichsjustizminister. 1933 wurde er als eines der ersten Berufsverbotsopfer von der Uni Heidelberg verbannt.
    Während der Nazi-Diktatur war der Lübecker Hafen eines der wichtigsten Widerstandszentren der Stadt. Bis zum Kriegsausbruch wurden Nachrichten und Personen aus Dänemark und Skandinavien ausgeschleust und Material aus skandinavischen und sowjetischen Häfen eingeschleust. In der Hafenkantine des Hafenbetriebsvereins befindet sich eine Gedenktafel mit Namen von Widerstandskämpfern unter den Lübecker Hafenarbeitern, die ihr Leben ließen.